Interview mit Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB: Ohne Austausch und Dialog funktioniert Klimaschutz nicht

Interview mit Dr. Christine Lemaitre, DGNB – Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sich auch in Deutschland immer stärker in den gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft niederschlägt. Die Immobilienwirtschaft hat dabei eine besondere Verantwortung: Der Gebäudesektor trägt rund 35 Prozent zum Endenergieverbrauch und rund 28 Prozent zu den CO2-Emissionen bei. Um die vorgegebenen Klimaschutz-Ziele auf Portfolioebene zu erreichen, entwickelt das Asset Management der HIH Invest strategische Maßnahmen mit dem Ziel, portfolioweit den CO2-Verbrauch zu reduzieren, die Energieeffizienz zu erhöhen und Ressourcen zu schonen.

Die HIH Invest steht in engem Austausch mit Branchenverbänden und Wissenschaftsinitiativen. Die Frage, die uns beschäftigt: Wie können Immobilienunternehmen branchenübergreifend und über die Landesgrenzen hinaus ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten? Zum Abschluss unserer Interviewserie sprechen wir mit Dr. Christine Lemaitre (Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB). Die DGNB wurde 2007 auf Initiative von Architekten, Ingenieuren, Wissenschaftlern, Investoren und Vertretern der Bauindustrie gegründet, um ein Zertifizierungssystem für die Nachhaltigkeit von Immobilien zu entwickeln. Heute ist der Non-Profit-Verein mit mehr als 1600 Mitgliedsorganisationen Europas größtes Netzwerk für nachhaltiges Bauen.

Frau Dr. Lemaitre, ist sich die Immobilienbranche ihrer Verantwortung für den Klimaschutz bewusst?

Klimarisiken, Regulierung und veränderte Marktnachfrage – der steigende Druck hat Bewegung in die Bau- und Immobilienwirtschaft gebracht, obwohl diese hinsichtlich neuer Entwicklungen oft etwas schwerfällig agiert. Nach der anfänglichen Phase der Absichtserklärungen kam es in der Branche erst einmal zu Ermüdungserscheinungen und das Thema Nachhaltigkeit stagnierte. Alle Marktteilnehmer spüren inzwischen nicht nur deutlich, dass mehr Transparenz und Verbindlichkeit eingefordert wird. Sie erkennen auch, dass zahlreiche neue Chancen entstehen, wenn Nachhaltigkeit ganzheitlich und als Teil der strategischen Weiterentwicklung des Bauens, Modernisierens und Erhaltens von Immobilien verstanden wird.

Wie unterstützt die DGNB die Investoren und Asset Manager dabei, ihre Nachhaltigkeitsstrategien weiterzuentwickeln?

Die DGNB hat ein eigenes Zertifizierungssystem entwickelt, um nachhaltiges Bauen praktisch anwendbar, messbar und damit vergleichbar zu machen. Erstmals am Markt angewandt wurde dieses 2009, seitdem haben wir etwa alle zwei Jahre eine überarbeitete Zertifizierung mit verbesserter Qualität und Anwendbarkeit entwickelt. Neben der Zertifizierung von Gebäuden, Innenräumen und Quartieren beschäftigen wir uns heute auch mit der Klimapositivität von Gebäuden und ganzen Städten und versuchen, ein Zyklusdenken bei Auswahl und Einsatz von Baumaterialien zu etablieren. Als zentrales Element setzen wir dabei auf Austausch, Dialog und Wissenstransfer innerhalb der Immobilien- und Baubranche, ohne die der Klimaschutz aus unserer Sicht nicht funktionieren kann. Hier setzen wir beim DGNB an: Wir bringen die Marktteilnehmer zusammen, vermitteln Wissen und geben mit unserem Zertifizierungssystem eine Orientierung, sodass die Unternehmen intern die Transformationen einleiten und auf die gleichen Klimaschutzziele hinarbeiten können.

Warum sind Austausch und Dialog so wichtig? Kommt es nicht eher auf die Maßnahmen an?

Menschen zusammenbringen, Menschen erreichen, um sie für nachhaltiges Bauen zu interessieren – das ist unserer Kernphilosophie. Der Austausch innerhalb der Branche ist ein ganz entscheidender Punkt, denn ohne ihn können keine nachhaltigen Maßnahmen ergriffen werden. Eine Lösung nach dem Prinzip „one fits all“ wird es nicht geben, denn in der Immobilien- und Baubranche finden wir eine ultimative Sektorenkopplung vor. Der Gebäudebereich bildet in der Regel nur den technischen Betrieb ab. Es geht aber nicht nur darum, mit unseren Gebäuden die Energiewende einzuleiten. Wir müssen Inhaltsstoffe für Bauprodukte nachhaltiger machen, wir sind für einen großen Teil der Abfallströme verantwortlich und auch zur Mobilitätswende können wir einen wichtigen Beitrag leisten. Dieses große Bild haben die meisten Marktteilnehmer gar nicht im Blick. Hier setzen wir beim DGNB an: Wir bringen die Marktteilnehmer zusammen, vermitteln Wissen und geben mit unserem Zertifizierungssystem eine Orientierung, sodass die Unternehmen intern die Transformationen einleiten und auf die gleichen Klimaschutzziele hinarbeiten können.

Wie gelingt diese Transformation an den Gebäuden?

Basis ist die Erfassung des Ist-Zustandes in Form eines ehrlichen Monitorings, welches die realen Energieverbräuche eines Gebäudes darstellt. Auf dieser Datengrundlage können strukturierte Maßnahmen abgeleitet werden, um die Energieverbräuche zu optimieren. Einzelmaßnahmen sind natürlich kontraproduktiv, jedes Gebäude braucht im Grunde einen eigenen Klimaschutzfahrplan, der die Maßnahmen auch zeitlich einordnet. Neben baulichen Maßnahmen müssen dabei auch Komfortanforderungen miteinbezogen werden. Das ist besonders im Bürosegment ein wichtiger Punkt, wenn wir einmal an den Bekleidungsfaktor denken. Ich gebe Ihnen ein einfaches Beispiel: Müssen Männer im Hochsommer mit Anzug und Jackett ins Büro kommen und wir kühlen das Gebäude runter? Was ist angemessener Komfort? Und wie können wir die Nutzer des Gebäudes, die Mieter, die Mitarbeiter der Mieter in die Verantwortung miteinbeziehen? Auch solche Fragen sind für einen Klimaschutzfahrplan essenziell und gerade diese Fragen können wir als Branche nur gemeinsam beantworten, im Dialog untereinander als auch mit den Nutzern.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Lemaitre.

www.dgnb.de

Sandra Quellhorst

Head of Public Relations
Mail: SQuellhorst@hih.de
Fon: +49 173 6634367
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